Wie geht man mit ungefragten Tipps und Meinungen um? 

„Das kenne ich, da musst du den Dachdecker anrufen und sagen, dass ein Ziegel locker ist.“

Nachdem ich jemanden gesagt habe, dass mein Dach an einer Stelle undicht ist.

Ich wusste von Anfang an, dass er nicht zu dir passt, und ich habe es dir damals auch gesagt, weißt du noch?“

Als ich traurig war, weil mein Partner mich betrogen hatte.

„Mein Tipp: einfach abwarten!“

Als ich nur feststellte, dass es regnete.

Das ist nur eine Auswahl von Tipps und Meinungen, die Liste könnte ich bestimmt täglich erweitern.

 

 „Du musst, du solltest, das habe ich so gemacht, an deiner Stelle würde ich, ……“ 

Kommt Ihnen das bekannt vor?

Sie erzählen jemanden etwas und schwupps erhalten Sie ungefragt einen Ratschlag, eine Erklärung, Besserwissereien oder eine Geschichte aus dem Leben des Gegenübers.

Warum glaubt diese Person denn, sich in mein Leben einmischen zu müssen und alles besser zu wissen?

Betrachten wir die andere Seite, so ist es der Person überhaupt nicht bewusst, dass sie etwas Beziehungsstörendes sagt. Ganz im Gegenteil.

„Erzählt mir eine Person etwas, will sie doch meine Meinung dazu haben, warum sollte sie mir das ansonsten mitteilen?“

Diese innere Haltung erscheint zunächst unschuldig, altruistisch und lösungsorientiert.

Sie entspringt einem missionarischen Gefühl und dem Glauben, etwas Gutes zu tun und es einfach besser zu wissen.

Gefühl von Angst und Ohnmacht

Oft steckt Angst hinter dem schnellen Rat. Wir Menschen möchten nicht mit etwas Negativem konfrontiert werden. Schnell ein Pflaster draufkleben und weiter machen. Das Leben sollte bitte beherrschbar bleiben. Und indem ich Rat gebe, beweise ich mir, dass ich selbst in so einer Situation handlungsfähig bleiben würde.

Ein weiterer Glaube, warum die eigene Meinung und vor allem Ratschläge wichtig sind, entspringt meiner Ansicht nach der Haltung:

„Mein Gegenüber hat Unglück und ich den Überblick.“

Es ist die innere Logik eines Tauschhandels. Wenn jemand etwas Schreckliches erlebt hat, sei es der Tod, Verlassen zu werden, Kündigung etc. , dann wird er oder sie bemitleidet und rutscht in die Position des Opfers und Bittstellers.

Und die Rat gebende Person, die diesen Schicksalsschlag nie erlebt und durchstanden hat, wähnt sich als Expertin.

Denn sie hat schließlich das Problem nicht.  Ist darum also klar im Vorteil, denn sie hat dieser Logik nach bis jetzt alles richtig gemacht und Probleme vereitelt.

Und von diesem Wissen kann die notleidende Person doch nur profitieren. Oder nicht?

Verhalten ansprechen erfordert Selbstreflexion und manchmal Mut

Was hätte ich mir in den oben beschriebenen Situationen gewünscht?

Bei einer kurzen Irritation lasse ich es gewähren. Merke ich aber, dass das Gespräch abrutscht, ist Ansprechen die bessere Lösung.

Was ich erwidern kann:

„Danke für den Tipp mit dem Dachdecker, den habe ich ja bereits angerufen/kennst du einen guten?“

Im Falle des Kummers über den Betrug, hätten mir Empathie und Verständnis gut getan.

„Ich bin gerade verletzt und traurig. Deine Bemerkungen verstärken das noch, bitte wühle nicht noch in meiner Wunde rum sondern halte dich zurück.“

In der Regensituation habe ich nur „Echt jetzt?“ geantwortet und wir mussten dann beide lachen.

Hand aufs Herz

Ich gestehe, ich mache es auch. Seitdem ich mich selbst beobachte, merke ich, dass ich gerne mal Tipps, Ratschläge und Erfahrungen äußere.

Vor allem, wenn es meine Wissensgebiete betrifft, da denke ich, dass ich Hausrecht habe und werde ganz schnell aktiv.

Unversehens befinde ich mich in meiner eigenen erlebten Episode und wünsche mir, davon zu berichten.

Je älter man wird, desto eher glaubt man, diese Geschichten in anderen Variationen schon gehört zu haben. „Ja genau, war bei mir damals bei meiner Schwangerschaft/in der Ausbildung/ mit der ersten Wohnung genauso!“

Zuhören

Natürlich ist es in einem Gespräch wichtig, auch etwas von sich selbst zu erzählen. Ein gutes Gespräch besteht nicht nur aus Zuhören. Gemeinsam tragen wir zu den Inhalten bei und so entstehen Dialog und Austausch.

Wenn jemand jedoch sein Herz öffnet und erzählt, was sie oder er gerade erlebt hat, ist empathisches Zuhören für beide angenehmer. Zuhören und dabei die Person anfühlen, die erzählt. Was ist ihr wichtig? Was empfindet sie?

Nur wenn ich nicht interveniere, kann die Geschichte dem Lauf des Erzählenden folgen.

Das Geheimnis des Zuhörens

Neugier hilft, um dabei zurückhaltend zu bleiben. Auch der Gedanke, keine genialen Ideen oder Lösungen produzieren zu müssen. Nur Herz und Ohr anbieten.

Zuhören bedeutet, empathisch zu sein und die Situation und die Gefühle eines Menschen nachzuempfinden. Wir müssen dabei in Resonanz gehen, um wirklich zu verstehen.

Das Geheimnis des guten Zuhörens heißt nicht, die eigenen Gefühle zu verbalisieren. Das Geheimnis ist, die Fähigkeit zu besitzen, die Gefühle und Perspektiven des Gegenübers zu verstehen, auch wenn wir selbst in der beschriebenen Situation völlig anders fühlen und reagieren würden. Erst dann sind wir in Resonanz und können das eigene Verhalten darauf abstimmen und unserem Gegenüber Empathie schenken.